Stargeigerin Hilary Hahn gastiert am Montag in Berlin. Ein Gespräch über Lieblingsstücke und deutsche Wurzeln

Privates kommt ihr im Interview nicht über die Lippen. Und wenn, dann allenfalls wohldosiert und in der Art, wie Hilary Hahn ihr öffentliches Bild gern sehen und formen mag. Als Geigerin, die sich ganz der Musik und künstlerischen Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlt und voller Hingabe auch nach neuen Wegen in der Klassik sucht. Einst als „Wunderkind“ gefeiert – „dahinter steckt immer harte Arbeit“ – und von Star-Dirigent Lorin Maazel als „Jahrhunderttalent“ gepriesen, hatte die US-Amerikanerin schon als Teenager den internationalen Durchbruch geschafft und wird heute allenthalben ob ihrer Virtuosität, vor allem aber ob ihres Nuancenreichtums im Ausdruck gefeiert.

Dass die 38-Jährige dabei bisweilen immer noch den Eindruck einer Kindfrau hinterlässt, hängt zweifellos mit ihrer Zierlichkeit zusammen. Dabei ist Hahn seit bald drei Jahren selbst Mutter. Was die Künstlerin seinerzeit sogar samt Kinderfotos von sich und ihrem Mann auf Facebook angekündigt und nach der Geburt von Tochter Zelda beglückt gefeiert hatte: „Life is rosy“!

Doch seither liegt wieder der Mantel des Schweigens über dem Familienleben: „Private Dinge halte ich grundsätzlich privat.“ Ob die neue Rolle als Mutter ihren Blick auf manches Werk verändert habe? Nein, keine Chance – lieber erzählt die Künstlerin von ihrer ersten Begegnung mit der Serenade Leonard Bernsteins, die nun bei ihrem Berliner Gastspiel mit dem Houston Symphony Orchestra unter Andrés Orozco-Estrada im Konzerthaus auf dem Programm steht. 13 Jahre alt sei sie damals gewesen und habe eine Einladung vom heutigen Konzerthaus-Chefdirigenten Ivan Fischer und seinem Budapest Festival Orchestra mit eben diesem Werk für ihr Europa-Debüt gehabt. „Dabei hatte ich das Stück noch nie gespielt und bis dahin auch nicht gehört, da es eher selten aufgeführt wird. Also habe ich im Unterricht Mister Brodsky nach seiner Meinung gefragt“, erzählt Hahn.

Eine Grenzgängerin zwischen den Genres

Jascha Brodsky, eine Legende als Violinlehrer und selbst letzter Schüler des Jahrhundertgeigers Eugène Ysaÿe. Seit ihrem zehnten Lebensjahr unterrichtete der alte, weise Herr am Curtis Institute in Philadelphia die kleine Hilary. Doch als seine Schülerin ihn damals nach der Serenade befragte, meinte der 85-Jährige nur: „Oh, Sweetheart, würdest Du bitte fragen, ob Du statt Bernstein lieber das Barber-Konzert spielen könntest?“ „Doch Ivan Fischer wollte unbedingt die Serenade aufführen“, erinnert sich Hahn. Und so beschaffte sich ihr Lehrer die Noten, um das Werk selbst erst einmal zu studieren und dann seiner Schülerin beizubringen.

„Eine rundherum wundervolle Erfahrung – und seit dieser Aufführung in Budapest liebe ich das Stück.“ Dennoch haben die Noten nach ihrer anschließenden CD-Aufnahme mit dem Sinfonieorchester ihrer Geburtsstadt Baltimore fast 20 Jahre daheim im Schrank geruht: „Ich wollte es immer spielen, doch viele Veranstalter tun sich schwer damit, das Werk aufs Programm zu setzen. Und es ist einfach auch fürs Orchester eine Herausforderung, nicht zuletzt da das Schlagzeug ungemein gefordert wird.“

Eine Begeisterung für das rhythmische Element, die angesichts ihrer eigenen Eingängigkeit im Spiel manchen überraschen mag – und doch nur konsequent ist für eine Musikerin, die nicht allein viele Singer-Songwriter zu ihrem Freundeskreis zählt, sondern auch gern über die eigenen Genre-Grenzen hinausschaut. Die mit dem experimentellen Klavier-Tüftler Hauschka ein eben solches Album aufgenommen hat, aber auch immer wieder mit Kollegen aus Rock und Country improvisiert. Ohne dabei ihre klassischen Wurzeln verleugnen zu wollen: „Ich kenne meine Grenzen und Interessen und weiß auch, wer ich bin. Aber ich liebe einfach diesen kreativen Prozess.“

Als einen solchen betrachtet die kleine, große Persönlichkeit mit den Korkenzieherlocken auch ihr eigenes Genre immer wieder. Und lässt sich dabei auch nicht von der gern beschworenen Krise der klassischen Musik irritieren: „Wenn wir die Geschichte der Klassik betrachten, dann sind wir heute viel mehr Mainstream als in den Anfangszeiten.“ Eine Feststellung, die dann doch verwundert, der Hahn indes eine nüchterne Zahlenanalyse hinterherschiebt. „Natürlich interessieren sich mehr Menschen für Pop. Doch ziehen wir den Vergleich mit Jazz oder Countrymusik, dann sind dort die Konzertsäle und Besucherzahlen viel kleiner als bei uns in der Klassik.“

Alles eben eine Frage der Perspektive – so wie auch bei ihren eigenen Werks-Interpretationen auf der Bühne. Wobei Hahn die Idee von etwas völlig Neuem für eine Illusion hält: Fast immer habe sich irgendjemand anderes in der Regel dem Werk doch schon in ähnlicher Art genähert. Dennoch hält sie diese Erkenntnis nicht davon ab, nach einem eigenen Weg zu suchen – und der führe bei ihr oft über die Sprache.

Was in ihrem Fall neben dem Französischen – „auch wenn ich es nicht so spreche, dass die Franzosen mich verstehen können“ – und Japanisch vor allem Deutsch bedeutet: Waren doch ihre Urgroßmutter mütterlicherseits wie auch die Urgroßeltern ihres Vaters Einwanderer aus der Pfalz, sie selbst besuchte als Kind regelmäßig eine deutschsprachige Kirche und studierte später am Curtis Institute auch Deutsch. „Und viele Traditionen, nicht zuletzt rund um das Weihnachtsfest mit Krippenfiguren aus Holz, sind bis in meine Generation gepflegt worden.“

Allein mit der typisch deutschen Küche tue sie sich schwer – nicht der Klöße oder Braten wegen, nein, sie habe leider nie gelernt, nach Rezept zu kochen: „Deshalb weiß ich einfach nicht, wie man typisch deutsche Gerichte wirklich gut zubereitet.“ Dafür kann die Geigerin Goethes „Erlkönig“ rezitieren, denn die berühmte Ballade gehörte zu ihren ersten Lektüren, als sie seinerzeit die deutsche Sprache lernte. Was für Hahn am Ende des (Konzert-)Tages dann nicht nur mit Blick auf die Violinsolo-Caprice von Schuberts Balladen-Vertonung dann doch von größerer Bedeutung sein dürfte als ein perfekt zubereiteter Sauerbraten.

Konzerthaus am Gendarmenmarkt,
Mitte. Tel. 203092101.
Konzert am 12. März, 20 Uhr.