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Beethoven Geburtsstadt Bonn

Wie der fröhliche Ludwig die Welt verändern wollte

ARCHIV - 15.05.2019, Bonn: ILLUSTRATION - Lächelnde Beethoven-Statuen, ein Kunstwerk des Konzeptkünstlers und Bildhauers Ottmar Hörl, stehen auf dem Münsterplatz. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern hat das Projekt eines internationalen Teams, Ludwig van Beethovens unvollendete 10. Sinfonie mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu ergänzen, als sehr interessant bezeichnet. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ ARCHIV - 15.05.2019, Bonn: ILLUSTRATION - Lächelnde Beethoven-Statuen, ein Kunstwerk des Konzeptkünstlers und Bildhauers Ottmar Hörl, stehen auf dem Münsterplatz. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern hat das Projekt eines internationalen Teams, Ludwig van Beethovens unvollendete 10. Sinfonie mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu ergänzen, als sehr interessant bezeichnet. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ludwig lächelt, zumindest auf den Statuen des Konzeptkünstlers Ottmar Hörl, die von Bonn aus in viele Länder verkauft wurden
Quelle: dpa
Beethoven braucht keine Werbung, Bonn schon. Im Jubiläumsjahr wartet die Geburtsstadt des Weltstars mit einem riesigen Programm auf. Alle Beteiligten bemühen sich dabei um eigenes Profil.

Ja, es gibt noch Geheimtipps, sogar bei Beethoven. Der Komponist hinterließ mit 772 Werken ein Oeuvre, dem Generationen von Künstlern und Forschern immer neue Erkenntnisse abrangen. Beethoven ist globales Kulturgut. Aber das gilt nur für eine Anzahl von Werken.

„Der späte Beethoven ist nach wie vor kein Renner im Repertoire“, sagt Nike Wagner, die Intendantin des Bonner Beethovenfestes. „Das sind aufregende, anspruchsvolle Werke, die den mündigen Hörer verlangen. Vielleicht dient dieses Jubiläumsjahr dazu, dass man auch diesen ,schwierigen’ Beethoven besser wahrnimmt.“

Ludwig überall, hier als Graffito auf einer Hauswand in Bonn
Ludwig überall, hier als Graffito auf einer Hauswand in Bonn
Quelle: AFP

Das gilt selbst für Bonn, wo die Menschen praktisch mit Beethoven groß geworden sind. Gerade jetzt, wie sollte es anders sein, führt kein Weg an ihm vorbei. Wohin man blickt, noch mehr Beethoven als sonst: Plakate, Lichtinstallationen, Infosäulen oder ein riesiges Graffito an einer Häuserwand, das Antlitz des Tondichters ziert Sektflaschen, Bleistifte, Streichholzschachteln oder Tütchen mit Gummibärchen.

Dem Diesseits zugewandt

Schon vergangenen Sommer lockte die Bürger-Aktion „Unser Ludwig“ zwei Wochen lang 75.000 Menschen auf den Münsterplatz. Dort, wo seit 1845 das weiland weltweit erste Beethoven-Denkmal steht, hatte der Konzeptkünstler Ottmar Hörl gleich 700 Ludwig-Figuren aufgestellt, die anschließend, vergleichbar mit den Berliner Buddy Bären, in alle Welt verkauft wurden. Das Besondere an Hörls Ludwig: Er lächelt! Gut gelaunt, die Hände lässig in den Hosentaschen, erscheint der Titan ganz dem Diesseits zugewandt.

Beethoven Haus
Malte Boecker ist Direktor des Beethoven-Hauses und leitet zudem die Jubiläumsgesellschaft
Quelle: Beethoven-Jubiläumsgesellschaft/David Ertl

So feiert denn auch die Stadt unter dem Motto „Beethoven neu entdecken“ den 250. Geburtstag ihres berühmtesten Sohnes. „Das allgemeine Bild von Beethoven ist geprägt vom alten, tauben, der Welt eher abgewandten Künstler“, so Malte Boecker. Der Direktor des Beethoven-Hauses Bonn hat im vergangenen Jahr nach einigen Querelen auch die Leitung der Jubiläumsgesellschaft BTHVN2020 übernommen. Sie wurde 2016 als Tochter der Bonner Beethoven-Gesellschaft gegründet, um den Geburtstag zu koordinieren.

Der Bund engagiert sich bei dieser laut Koalitionsvertrag „nationalen Aufgabe“ mit insgesamt 27 Millionen Euro. Auch das Land Nordrhein-Westfalen mit zehn Millionen Euro, die Stadt Bonn mit fünf Millionen sowie der Rhein-Sieg-Kreis mit 1,5 Millionen Euro fördern das Jubiläum. Da darf der regionale Aspekt nicht zu kurz kommen. Malte Boecker: „Der Bonner Beethoven ist der junge Mann, der die Welt verändern, sich musikalisch behaupten will, der sehr gesellig ist.“

Hineingeboren in eine Musikerfamilie

Eine rheinische Frohnatur also? Auf jeden Fall ein lebenslustiger Typ, was in Musikerfamilien keine Seltenheit sein soll. Der Großvater war Hofkapellmeister in Bonn, der Vater sang als Tenor ebenfalls in der Hofkapelle. Am 17. Dezember 1770, so ist es dokumentiert, wurde Ludwig van Beethoven getauft, in der Remigiuskirche, die 1800 abbrannte und nicht mit der heutigen Kirche gleichen Namens verwechselt werden sollte.

Geht man recht in der Annahme, dass die Taufe wegen der damals hohen Säuglingssterblichkeit so bald wie möglich vollzogen wurde, dürfte Ludwig am selben Tag oder einen Tag zuvor auf die Welt gekommen sein. Und zwar im Wohnhaus der Familie in der Bonngasse, dem heutigen Beethoven-Haus, das längst eine Pilgerstätte für Fans aus aller Welt ist.

Beethoven-Haus Bonn, vorne
Pilgerstätte für Fans aus aller Welt: das Beethoven-Haus
Quelle: Beethoven-Haus Bonn

Zum Jubiläum wurde das Museum komplett neu gestaltet und erweitert. Selbst das „Allerheiligste“ darf nun betreten werden, der elterliche Schlafraum, der Beethovens Geburtszimmer gewesen sein könnte. Eine „Schatzkammer“ zeigt wertvolle Originalmanuskripte, in einem neuen Raum für Sonderausstellungen geht es zurzeit um Joseph Stielers weltberühmtes Beethoven-Porträt, das sogar Andy Warhol inspirierte.

Große Schau in der Bundeskunsthalle

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Dabei ist diese Ikone ironischerweise momentan nicht wie sonst im Beethoven-Haus zu sehen, sondern in der Bundeskunsthalle. Dort zeigt die große Schau „Welt. Bürger. Musik“ den Superstar jenseits von Mythen und Klischees, mit Widersprüchen und menschlichen Schwächen. Zugleich bietet sie dennoch viele Devotionalien, selten gezeigte Handschriften wie die Skizzen zur „Ode an die Freude“ oder das von Verzweiflung geprägte Heiligenstädter Testament. Schon diese gelungene kunsthistorische Ausstellung lohnt die Reise nach Bonn.

11.12.2019, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Eine Partitur aus der Oper "Fidelio" liegt in einer Vitrine. Die Ausstellung "Beethoven-Welt.Bürger.Musik" ist vom 17. Dezember 2019 bis 26. April 2020 in der Bundeskunsthalle zu sehen. Foto: Oliver Berg/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die Ausstellung. +++ dpa-Bildfunk +++
Eine Partitur aus "Fidelio" in der Ausstellung "Beethoven-Welt.Bürger.Musik" in der Bundeskunsthalle
Quelle: dpa

„Lonely Planet“ hat unlängst die 300.000-Einwohnerstadt am Rhein zu einer der weltweiten „Top 10“-Reiseziele gekürt. Das hat sie natürlich ganz viel ihrem musikalischen Weltstar zu verdanken, obwohl fast alles, was von ihm heute im Konzertsaal erklingt, an der Donau entstand. Bereits 1792 war das erwachsen gewordene Wunderkind ja schon nach Wien gegangen, um bei Joseph Haydn zu studieren, ein Abschied für immer.

Doch ohne Zweifel haben die frühen Jahre den Menschen und Künstler geprägt, so wie auch viele familiäre und freundschaftliche Beziehungen aus Bonner Zeit bis zu seinem Tod 1827 hielten. „Ein Drittel seines Lebens hat Beethoven in Bonn verbracht“, betont Malte Boecker. „Und dieser Abschnitt ist total spannend.“

Der Kurfürst war ein Verfechter der Aufklärung

Politisch, wirtschaftlich und kulturell war Bonn Mittelpunkt eines von Erzbischöfen und Kurfürsten regierten Gebiets. Kurfürst Maximilian Franz, kurz Max Franz, war ein Verfechter der Aufklärung. Er förderte Theater und Musik und nicht zuletzt den jungen Ludwig, der mit 14 in die Hofkapelle eingetreten war. Gerade in Kreisen dieser Musiker spielten die Freimaurer eine große Rolle. Malte Boecker: „Beethoven hat da einiges aufgesogen.“

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Mehr als 300 Projekte hat man zum Jubiläum für Bonn und Umgebung zusammengestellt. Schon im Dezember ging es richtig los, mit einem Festakt in der Bonner Oper, zum Jahreswechsel feierte hier Volker Löschs hochpolitische„Fidelio“-Inszenierung Premiere.

Ab Mitte Januar erklingen im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses in 16 Konzerten alle kammermusikalischen Werke. In dichter Taktung folgen Spezialkonzerte mit großen Namen, Wechselausstellungen und Minifestivals, sie alle sollen neue Zusammenhänge und Verknüpfungen aufzeigen. Allein das Beethoven Orchester Bonn mit seinem umtriebigen Leiter Dirk Kaftan geht in 80 Konzerten auf große Entdeckungstour.

Gleich zwei Beethoven-Feste 2020

Viele Absprachen waren nötig, um programmatische Überschneidungen zu vermeiden – und um ein eigenes Profil zu bewahren. „Beethoven-Fest, Beethoven-Gesellschaft, Beethoven-Haus, Beethoven-Orchester, dazu die ganzen Beethoven-Stiftungen und Beethoven-Netzwerke, wer blickt da noch durch?“, sorgt sich auch Nike Wagner. Ihr Fest, das normalerweise jährlich im September nach Bonn lädt, wird zum Geburtstag gleich zweimal stattfinden, nicht nur wegen zusätzlicher finanzieller Ressourcen.

Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfests
Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfests
Quelle: PA/dpa
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Los geht es im März unter dem Motto „Seid umschlungen“, im Herbst heißt es, Klopstock zitierend, „Auferstehn, ja auferstehn“. „Im März sind die Ohren noch frisch“, betont Nike Wagner. „Es ist auch der Monat, in den der Todestag Beethovens fällt.“ So erklingen Werke großer Meister in einem Europäischen Orchesterzyklus, dazu gibt es Beethoven-Huldigungen zeitgenössischer Komponisten.

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Von Bonner Bürgern muss sich Nike Wagner vorwerfen lassen, sie würde zu wenig Beethoven aufführen. „Beethoven in einen Kontext zu setzen mit Werken, die früher oder später entstanden sind, das halte ich für klüger und sinnvoller, als immer wieder die bekanntesten Symphonien und Sonaten abzuspielen“, meint die Urenkelin Richard Wagners, die das Festival seit 2014 leitet, 2020 ist ihre letzte Spielzeit. Es geht ihr um das Ungewöhnliche, das in die Gegenwart weisende, wenn etwa die „Missa Solemnis“ in einem Sonderkonzert am 21. August unter Kent Naganos Leitung im Kölner Dom erklingt und als „Störenfried“ vor dem Credo Karlheinz Stockhausens elektronischer „Gesang der Jünglinge“ von 1955 eingefügt wird.

Frühlingswind im alten Faltenwurf

„Natürlich bekommt das Publikum auch alle Neune“, sagt die Intendantin. „Dann werden die Sinfonien aber auf Originalinstrumenten gespielt, unter Leitung eines der momentan interessantesten Dirigenten.“ Die Rede ist von Teodor Currentzis, dem griechisch-russischen Shootingstar am Pult, der in Perm, der östlichsten Millionenstadt Europas, ein sensationelles Orchester aus der Taufe hob. MusicAeterna spielt im März in der Bonner Oper an fünf Abenden die neun Beethoven-Sinfonien.

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„Das atmet bei aller Präzision eine explosive Frische“, schwärmt Nike Wagner, die das Orchester mit der Neunten in Salzburg erlebte. „Currentzis spannt das dynamische Spektrum ganz weit, verleiht Werken, die wir von großen romantischen Orchestern seit etwa 200 Jahren im Ohr haben, einen neuen Ansatz – wie wenn man Frühlingswind in einen alten Faltenwurf hinein bläst.“

Die Neunte erklingt auch beim Eröffnungskonzert am 4. September, mit Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele unter Marek Janowski. Eingefädelt hat diesen Coup Nike Wagner selbst. Wer sich an die familiären Auseinandersetzungen auf dem Grünen Hügel erinnert, versteht, dass dieses Unternehmen nicht unpikant ist.

Staraufgebot am Rhein

Franz Liszt, der Klavier-Virtuose und Komponist, dessen Leben mit Wagners Bayreuth ja ebenfalls vielerart verknüpft ist, hat einst sämtliche Sinfonien für Solopiano transkribiert. „Selten en suite zu hören, weil ungeheuer schwer spielbar“, so Nike Wagner. Im September werden internationale Tastenkünstler diese Fassungen bei einem Gipfeltreffen am Klavier präsentieren.

Für weitere Konzerte kommen Stars wie Anne-Sophie Mutter, Daniel Hope, Renaud Capucon, Pianisten wie Igor Levit oder Marino Formenteri. Beethoven war nicht der einzige, der sich mit dem Fidelio-Stoff beschäftigte. In Bonn werden erstmals alle vier „Leonoren“-Opern aufgeführt, als auch die von Ferdinando Paër, Johann Simon Mayr und Pierre Gaveaux.

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Ludwig van Beethoven

Der international sehr gefragte Regisseur Romeo Castelucci wird sich mit Prometheus, mit dem sich einst ja auch Beethoven ausgiebig beschäftigte, auseinandersetzen. Castellucci entwickelt seine performative „Installation“ im Bonner Viktoriabad, einem heute leer stehenden Schwimmbad aus den 1960er-Jahren. Sicher einer der spannendsten Spielorte eines Festivals, das immer noch keine eigene Spielstätte hat und unter anderem in die Bonner Oper oder ins World Conference Center ausweicht.

Beethoven und die ewige Baustelle

Die marode Beethoven-Halle, die sogar abgerissen werden sollte, nun aber, unter anderem mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, umfangreich saniert wird, sei nach wie vor „ein Schmerzenskind“, so Nike Wagner. Wenigstens kurzzeitig wird die Halle im September zum Leben erweckt. Bei der „Bauprobe Beethoven“, einer theatralen Baustellen-Begehung mit Rimini Protokoll. Die Künstlergruppe bezieht Laiendarsteller ein, deren Arbeit und Leben eng mit der Halle verbunden ist.

Der Repräsentationsbau aus den 1960er-Jahren ist ein Symbol für die Hauptstadt der jungen Bundesrepublik. Die „ewige Baustelle“ kann aber auch für Beethoven stehen. Mit ihm wird man niemals fertig. Auch nicht in Bonn.

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