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Brahms-Zyklus in der Kölner Philharmonie

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Ltg. Lorin Maazel

- Teil 2 -


3. Konzert am Samstag, 25. Januar 1997 Sinfonie Nr. 3 F-Dur Op. 90
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur Op. 83

Solist: Gerhard Oppitz

4. Konzert am Sonntag, 26. Januar 1997 Konzert für Violine und Orchester D-Dur Op. 77
Sinfonie Nr. 4 e-Moll Op. 98

Solistin: Hilary Hahn


Grandioser zweiter Teil des Brahms-Zyklus Lorin Maazel und seine Bayerischen Sinfoniker rissen die Zuhörer von den Stühlen

Wer gedacht hat, daß es zu den in den ersten beiden Konzerten gezeigten Leistungen keine Steigerung mehr gäbe, mußte sich bei den beiden den Brahms-Zyklus beschließenden Konzerten vom Gegenteil überzeugen lassen. Wie schon am letzten Wochenende war das Konzert am Samstag restlos ausverkauft, was sicherlich auch auf den Solisten Gerhard Oppitz und dessen anerkannte Interpretation von Brahms-Klavierkompositionen zurückzuführen ist.

Die Anlage und Gestaltung von Brahms 2. Klavierkonzert, dessen sinfonisches Ausmaß gegenüber dem 1. Konzert nun auch in der Viersätzigkeit hervorgehoben wird, durch Solist und Orchester dürfte schwer zu übertreffen sein. Diesmal gab Opptiz die Interpretationsrichtung vor, indem er von Beginn an kraftvoll - jedoch ohne zu überziehen - in die Tasten griff. Bewundernswert schon im ersten Satz die großen Spannungsbögen, die Oppitz aus dem ‘Nichts’ der Motivpartikel vom pianissimo bis zum fortissimo zu gestalten vermochte. Die immensen technischen Schwierigkeiten des Klavierparts sind bei der spielerischen Leichtigkeit, mit der Oppitz sich diesen nähert, fast nur zu ahnen. Das Orchester stand der Spielfreude des Solisten in keiner Weise nach.

So war es etwas überraschend, daß Lorin Maazel im ‘Allegro appassionato’ seine Musiker zurücknahm, während Gerhard Oppitz dieses Scherzo von der ersten Note an betont kraftvoll anging. Damit wurde die Auffassung Maazels, eine Spannungssteigerung durch konsequente Intensitätszunahme zu erreichen, um ihre Wirkung gebracht.

Zu einem wahren Traum von interpretatorischer Übereinstimmung geriet dann der dritte Satz. Die einleitende Solo-Cello-Kantilene verzauberte nicht nur das Publikum, sondern auch Oppitz, der die vorgegebene Intensität aufnahm und zu berückenden Pianissimo-Klängen gelangte. Wie schon im 1. Klavierkonzert überzeugten Solist und Orchester durch ihre organischen Übergänge, insbesondere im langsamen Satz.

Als pianistisches Feuerwerk erwies sich dann das abschließende ‘Allegretto grazioso’. Oppitz und die Bayerischen Sinfoniker führten die verschiedenen musikalischen Charaktere, insbesondere die metrischen Verschiebungen und den ‘ungarischen Ton’ dieses Satzes, brillant vor. Ovationen für Orchester und Solisten, doch Gerhard Oppitz blieb sich treu: eine Zugabe verweigerte er sich.

Dem Klavierkonzert vorangestellt war die dritte Sinfonie. Mag sich vor dem Abend die Vermutung eingestellt haben, daß Lorin Maazel dem oft angeführten Kritikpunkt der fehlenden Finalwirkung dieser Sinfonie (im Gegensatz zu den ersten beiden Sinfonien verzichtet Brahms auf einen fulminanten mit Blechbläsern gefütterten Fortissimo-Schluß) voreilig entgegenkäme und sie deshalb nicht ans Ende des Programms setzte, muß Abbitte geleistet werden. Es wäre schlichtweg falsch, wollte man Lorin Maazel nur auf die Fähigkeit der grandiosen Steigerungen und schlagkräftigen Orchestertutti festlegen. Außerdem hatte er ja auch bei den vorherigen Sinfonien die Formstrukturen u. Motivbezüge eindrucksvoll herausgearbeitet. Diese Linie verfolgte Maazel auch in der dritten Sinfonie.

In den Ecksätzen ließ er an den entsprechenden Stellen die Blechbläser brillieren und die dramatischen Steigerungen ergaben sich wieder fast von selbst. Dagegen nahm er die Mittelsätze konsequent zurück und erreichte das für diese Sätze zwingend notwendige kammermusikalische Musizieren. Solche dynamischen Kontraste sind nur möglich, wenn Orchester und Dirigent sich blind verstehen. Die hohe Qualität von Lorin Maazels Orchesterschule zeigte sich dann eindrucksvoll im ‘Poco Allegretto’. Überraschte zunächst die Wahl eines recht langsamen Tempos, schloß sich dann der Kreis des fast solistischen Musizierens, bei dem die Holzbläser ihre Extraklasse unter Beweis stellten. Bei solch intensitätsreichem Orchesterspiel brauchte man vor den letzten Takten des Finales nicht bange zu sein. Lorin Maazel ließ diesen Satz nach dem fortissimo-Höhepunkt ungemein spannend fast resignativ im Piano versinken.

Zum glänzenden Höhepunkt und den Zyklus krönenden Abschluß geriet dann der Sonntagabend. Mit der vierten Sinfonie Op. 98 und dem Konzert für Violine und Orchester Op. 77 standen zweifelsfrei zwei der beliebtesten Brahms-Kompositionen auf dem Programm. So erstaunte es doch, daß die Philharmonie nicht ausverkauft war. Vielleicht lag es daran, daß mit der erst siebzehnjährigen Geigerin Hilary Hahn eine in Deutschland noch recht unbekannte Solistin ihr Kölner Debüt gab. Wie sollten sich jedoch diejenigen im Publikums täuschen, die Hilary Hahn als bloßes Wunderkind unterschätzt haben. Und so stand Lorin Maazel nach dem letzten Satz fast diebisch lächelnd an der Seite und beobachtete die aus ihrer Überraschung aufwachenden enthusiastisch applaudierenden Zuhörer.

Hilary Hahn demonstrierte nicht nur ihre famose Technik, Doppelgriffe, Triller, eine lupenreine Intonation - dies sind im Konzertbetrieb Selbstverständlichkeiten für eine Solistin -, sondern überzeugte vor allem mit ihrer eigenständigen Interpretation, die sie schon als reife musikalische Persönlichkeit dastehen läßt. Schon die Orchesterexposition zum ersten Satz deutete den gewählten Charakter an: nicht die gewohnte starke Kontrastierung von melodischen u. stark rhythmisierten Kompositionsteilen wurde angestrebt, sondern eine behutsame Angleichung, ohne jedoch die rhythmischen Konturen zu verwischen. Hilary Hahn wählte dementsprechend einen sehr warmen, erfreulich vibratoarmen Ton und gelangte so zu wunderschönen, ausdrucksstarken Melodielinien schon in diesem ersten Satz. Bei dieser behutsamen, auf kleine dynamische Veränderungen zielenden Interpretation war es äußerst bedauerlich, daß Lorin Maazel sein Orchester in den Tutti-Stellen am langen Zügel ließ. So drehten die Musiker im Fortissimo auf, ihre Satzpartien verselbständigten sich und damit fehlte manchmal der organische Übergang. Auch in den Pianissimo-Takten nach der Solokadenz war das Orchester nicht sensibel genug.

Nichts von diesen wenigen Abstimmungsschwierigkeiten fand sich im Adagio. Maazel wählte ein nicht zu langsames Tempo, und so gerieten die hervorragend aufgelegten Bläser, vor allem der 1. Oboist, gar nicht in Gefahr, in Schönheit zu sterben. Solistin und Orchester verstanden sich hier blind und verzauberten mit ihren Melodielinien. Im abschließenden Rondo ließ Hilary Hahn ihrer Virtuosität freien Lauf, das zügige Tempo und die brillant aufspielenden Musiker gaben diesem Satz seinen bekannten Kehraus-Charakter.

Nach der Pause nun die e-Moll Sinfonie als Abschluß des gesamten Brahms-Zyklus. Hier war nun das ‘Aufdrehen’ des Orchesters angebracht. Schon die ersten Takte des Hauptthemas zeigten es, die für diesen Satz so charakteristischen Terzenketten wurden breit ausmusiziert. Konsequent arbeitete Maazel die motivischen und natürlich dynamischen Steigerungen heraus, deren Ziel in der Coda mitreißend erreicht wurde. Auch für die Binnensätze wählte Lorin Maazel fließende Tempi und dirigierte mit großer Geste. Im zweiten Satz verzauberte wieder einmal die Bläsergruppe und im ‘Allegro giocoso’ sprühten die Musiker vor Spielfreude, Triangel und Piccolo geben diesem Satz seinen Charakter. Attacca schloß sich das Finale an, diese aus 30. Variationen bestehende Chaconne, in der Brahms nochmals Zeugnis ablegt von der Bedeutsamkeit der Baßlinie für seine Kompositionen. Maazel baut die einzelnen Variationen eindrucksvoll zu einer fulminanten Steigerung auf. Und in der 29. und 30. Variation läßt er die Terzenketten, den zyklischen Rückbezug auf den ersten Satz, hervortreten.

Einen würdigeren Abschluß des Brahms-Zyklus hätte man sich nicht denken können. Ovationen und ‘standing ovation’ für Lorin Maazel und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Als Zugabe - es versteht sich von selbst eine Komposition von Johannes Brahms - mitreißend gespielt die ‘Tragische Ouvertüre’ Op. 81.

Bei so großer Begeisterung ließ es sich der Intendant des Hauses, Franz Xaver Ohnesorg, nicht nehmen, seinem ‘Artist in Residence’ die Blumen persönlich zu überreichen.

Ein kleiner Hinweis zum Schluß: Wer nun endgültig zum Brahms-Liebhaber geworden ist und sich für Interpretationsvergleiche interessiert, sollte sich die Konzerte des ‘Philadelphia Orchestra’ unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch am 16. u. 17. Mai 1997 in der Kölner Philharmonie nicht entgehen lassen. U.a. stehen die 3. Sinfonie, die Akademische Festouvertüre und das Konzert für Violine, Violoncello und Orchester auf dem Programm.

Karten bei KölnTicket: (0221) 2801



Von Silke Gömann

Hier geht es noch einmal zum 1. Teil der Rezension.



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