Die Bundesregierung hat in der zurückliegenden Woche eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes in den Bundestag eingebracht. Kanzlerin Angela Merkel sagte dort, die dritte Corona-Welle müsse gestoppt werden: "Um das endlich zu schaffen, müssen wir die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen besser bündeln als zuletzt." Dafür soll der Bund weitere Kompetenzen erhalten, um die viel beschworene "Notbremse" ziehen zu können. Was aber bedeutet das alles für die Kultur, die von Corona-Maßnahmen besonders betroffen ist?

Es fühlt sich so falsch an und ist doch richtig. Dieses Gefühl hatte ich das erste Mal, als vor mehr als 13 Monaten Theater, Museen, Kinos und Konzertsäle geschlossen werden mussten, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Das Gefühl kam wieder, als die Lockdown-Beschränkungen immer rigider wurden, weil alles Setzen auf die Vernunft zunehmend an jenen scheiterte, die die Gefahren des Virus leugnen. Und es ist jetzt wieder da, weil der Bund eine Notbremse ziehen muss, auf der schon länger bisweilen regungslos die Hand der Länder liegt.

Es fühlt sich falsch an, weil es allen vermeintlichen Gewissheiten über den Wert öffentlicher Räume, über die Bedeutung der individuellen Vernunft und über Verantwortung vor Ort widerspricht. Aber wenn menschliche Begegnungen zur Gefahr werden; wenn das Gefühl entsteht, dass sich alle Beschränkungen auf das private und kulturelle Leben beziehen und es in weiten Teilen der Wirtschaft so weitergehen kann wie bisher; und wenn keiner mehr genau weiß, was wo und wie an welchem Ort im Land gilt – dann wird das eigentlich Falsche notwendig. Und es fühlt sich für einen Aufklärungsoptimisten an wie eine Niederlage.

Was bleibt, ist Fassungslosigkeit. Darüber, dass es anscheinend wieder nicht gelingt, das Notwendige jetzt auch schnell zu tun. Darüber, dass die Reflexion über die Folgen des Unabdingbaren wieder einmal so lückenhaft ist, dass die Kultur erneut bloß als beinahe lästiger Nebenwiderspruch behandelt wird. Und darüber, dass die groben Regelungen des Gesetzes vieles Sinnvolle zu verhindern drohen.

Die Langsamkeit der Prozesse

Fassungslos macht die Langsamkeit der Prozesse: Seit fast einem halben Jahr sind alle kulturellen Einrichtungen geschlossen, mit einer kurzen Unterbrechung Anfang März und mit wenigen Ausnahmen in den wenigen Gegenden mit relativ niedrigen Inzidenzen. Diese lange Schließzeit hat etwas damit zu tun, dass die jeweiligen Lockdowns oftmals nicht konsequent genug waren; dass sie sich allzu sehr auf das private und kulturelle Leben fokussierten; dass sie wissenschaftliche Evidenzen nicht ausreichend in den Blick genommen haben. Statt energisch und effektiv die Welle zu brechen, wurde in Kauf genommen, dass einige Bereiche – unter ihnen die Kultur – über Gebühr und unverhältnismäßig hart getroffen wurden.

Schon seit Monaten sehnen deshalb viele in der Kultur einen harten Lockdown herbei, um die Inzidenzen endlich wieder so weit zu senken, dass auf der Grundlage von Tests und Impfungen eine Rückkehr ins kulturelle Leben möglich wird. Es herrscht mittlerweile kein Verständnis mehr für die oft bloß taktisch wirkenden Verhandlungen über Ausnahmen und Kompromisse. Wenn jetzt nicht entschieden gehandelt wird, drohen die Beschädigungen in den schon lange geschlossenen Bereichen unumkehrbar zu werden.

Fassungslos macht aber auch die politisch weitverbreitete Ungerührtheit gegenüber den Verwüstungen in der Kultur. Fassungslos macht, dass das Notwendige nicht reflektiert und erklärt wird, dass schon wieder der Referenzrahmen verrutscht: In der Formulierungshilfe der Bundesregierung für das neue Infektionsschutzgesetz heißt es zur Kultur, dass sich die Schließungen der Kultur "als angemessen erweisen", weil die "entstehenden Einnahmeeinbußen und die wirtschaftlichen Belastungen … durch wirtschaftliche Kompensationsprogramme erheblich abgemildert" werden.

Dabei ist es doch offensichtlich, dass es nicht reicht, kulturellen Stillstand bloß durch zusätzliche Transfers zu kompensieren. Das ist noch nicht einmal die Kerndimension, die kulturell durch die aktuellen Beschlussvorlagen berührt ist. Es geht stattdessen um die ideellen, die normativen, die eben nicht bloß materiellen Dimensionen unseres Zusammenlebens, die hier dauerhaft beschädigt werden, ja beschädigt werden müssen – in der Hoffnung darauf, dass nichts endgültig zerstört wird.