KI & Robotics

KI in der Klassik: Spannend oder Spielerei? 

Eigentlich sollte die von einer Künstlichen Intelligenz zu Ende komponierte 10. Sinfonie Beethovens 2020 uraufgeführt werden. Doch dann kam Corona. Musikkritiker und -Wissenschaftler sehen solche Experimente eher kritisch.

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Beethovens 9. Sinfonie mit dem Schlusschor „Ode an die Freude” ist das Klassikstück, das weltweit am häufigsten gespielt wird. Schade, dass es keine 10. Sinfonie gibt, obwohl ein paar Beethoven-Skizzen zu einer weiteren Sinfonie erhalten sind, die er vor seinem Tod 1827 gemacht hatte. Kann eine KI daraus eine komplette Sinfonie errechnen?

Pünktlich zum 250. Geburtstag des musikalischen Genies, im Beethoven-Jahr, sollte eine Künstliche Intelligenz (KI) genau dieses tun. Die künstliche 10. Sinfonie sollte im November 2020 vom Beethoven-Orchester unter Dirk Kaftan in Bonn uraufgeführt werden, ein Livestream das Konzert weltweit übertragen. Doch Corona erzwang mehrere Verschiebungen, geplant wird jetzt für den Herbst 2021.

KI-Technik, Musikexperten und Beethovens Skizzen zusammengebracht hat die Deutsche Telekom, die ihre Zentrale in Bonn hat und der Ideen- und Geldgeber des Projektes ist. „Wir halten uns eng an Beethovens Skizzen und komplettieren nur das, wozu uns Material und Zugänge von Beethoven selbst vorliegen. Dafür stehen auch unsere internationalen Experten“, betonte Telekom-Vorstand Timotheus Höttges.

KI komponierte unvollendete Klassik zu Ende

Erarbeitet wurde die neue Sinfonie von einem internationalen Team unter der Leitung von Matthias Röder, Direktor des Karajan-Instituts in Salzburg. Verwendet wurde dabei ein Spracherkennungsprogramm, das so modifiziert wurde, dass es für Musik genutzt werden konnte. Diese wurde gefüttert mit den Skizzen zur 10. und den übrigen neun Sinfonien Beethovens, sowie mit Klavierkonzerten und Sonaten und mit weiteren Stücken von Komponisten aus seiner Epoche, wie Haydn, Bach und Mozart. Als „Datenmaterial” von Beethoven gibt es nur Fragmente der ersten zwei Sätze. Das fertige KI-Werk ist etwa 22 Minuten lang, für eine Sinfonie eher kurz. Ausschnitte sind auf einer Webseite der Telekom zu hören.

Live-Performance von Beethovens 10. Sinfonie - aktueller Stand

 

Kompositions-Versuche mithilfe von KI sind in der Klassik nichts Neues. Zuletzt führte Anfang 2019 der chinesische Konzern Huawei in London Schuberts „Unvollendete” Sinfonie mit einem von einer KI berechneten Schlusssatz auf. Die Reaktionen der Klassikwelt auf das Experiment waren gemischt, der Qualitätsunterschied zwischen Schubert und “KI-Schubert” deutlich hörbar.

Telekom: Beethovens 10. soll Diskussionen auslösen

Das weiß auch Telekom-Sprecher Dirk Wende. „Wir haben uns gefragt, wie kreativ Algorithmen sein können? Wie können sich menschliche Kreativität und künstliche Intelligenz ergänzen?”, erklärt er. Die mit Musik gefütterte KI habe erkundet, wie die vorhandene Musik weitergehen könnte - und eine große Zahl von Varianten ausgeworfen. Denn die KI sei noch nicht so weit, Musik, wie sie ein Mensch wahrnimmt, selbst auszusuchen und zu erkennen. Aus den vielen Vorschlägen der KI hat dann ein Komponist etwas zusammengesetzt und verändert, so dass es harmonisch klingt und eine Sinn ergibt, erklärt Wende.

„Beethoven zu ersetzen oder ihn zu klonen, das ist unmöglich”, betont Wende. Er fragt sich: „Wie können sich Mensch und KI sinnvoll ergänzen? Und: Wie weit ist KI im Bereich Kreativität?” Er wünscht sich, dass das neue Werk eine neue musikwissenschaftliche Diskussion auslöst. Die ist bereits in vollem Gange.

Musikkritiker Mischke: „Kann mit neun Sinfonien gut leben”

Joachim Mischke, Musikkritiker des Hamburger Abendblattes, sieht den KI-Einsatz in der Klassik eher kritisch: „Ich finde es schwierig und nicht legitim”, sagt er mit Blick auf die neue KI-Beethoven-Sinfonie. Beethovens Genie und seine genialen Einfälle, das bekomme keine KI hin. „Es gibt viele unvollendete Stücke, die für sich stehen”, meint Mischke. Ein bekanntes Beispiel dafür sei Bachs „Kunst der Fuge”. Und es gibt viele Klassik-Werke, die von einem zweiten Komponisten beendet wurden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Mozarts Requiem. Hier sei aber bekannt, wo Mozart endet und Saleri beginne. „Ich würde eher die Finger davon lassen, hier Schicksal zu spielen” rät Mischke, der 2020 einen Kanon über Komponisten geschrieben hat, „ich kann auch sehr gut mit neun Sinfonien von Beethoven leben.”

Auch Professor Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie an der Musik-Hochschule in Hannover, sieht die KI-Kompositionen eher kritisch. Er ist einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Neurophysiologie und Neuropsychologie von Musikern. Sein jüngstes Sachbuch “Vom Neandertal in die Philharmonie” beschäftigt sich mit der Frage, warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann.

Hirnforscher Altenmüller: „Kann man so machen, ist aber langweilig”

Das Zu-Ende-Komponieren von unvollendeten Symphonien durch eine KI sieht auch er eher kritisch: „Natürlich kann man eine KI mit der Tonsprache der Komponisten füttern und kann das dann zu Ende führen, aber das Besondere an einem Meisterwerk ist, dass es Regularitäten regelmäßig durchbricht. Das muss eine KI erstmal schaffen, diese Regeln so zu durchbrechen, dass es für Menschen Sinn ergibt. Und dass für uns Menschen eine Andockung an unseren emotionalen Haushalt möglich ist.”

Die bereits veröffentlichten Ausschnitte aus der „künstlichen Komposition” von Beethovens Zehnter kennt Altenmüller. „Das kann man so machen, aber es ist langweilig”, findet er. „Musik hören ist ein aktiver, gelernter Vorgang im Gehirn, der bei der Verarbeitung dieser akustischen Informationen Bedeutungen erzeugt.” Um aus einem Musikstück ein Kunstwerk zu machen, gehe es um ein Spiel mit Hör-Erwartungen. Die müssen, so Altenmüller, „im richtigen Moment getäuscht werden”. Das empfinden Zuhörer als wohltuend und belohnend. „Wenn ich ein Musikstück höre, dann weiß ich nie genau, wie es weitergeht. Das Gehirn erwartet zum Beispiel nach drei Akkorden einen bestimmten vierten Akkord und ein guter Komponist ändert den vierten Akkord und hat damit eine noch nie dagewesene Akkordwendung drin”, erklärt der Hirnforscher. Dieser „Reset” ist laut Altenmüller mir Lernen verbunden, dabei wird das Belohnungshormon Dopamin ausgeschüttet: „Das gilt auch für die weiteren Male, wenn wir diese Musik hören. Denn wir können die Bewunderung für diese Wendungen speichern”, erklärt er.

Da kommen immer auch die persönlichen Erinnerungen, wann man das erste Mal diese Musik gehört hat. „Das kann mit einer KI nicht nachgestellt werden, denn der ist individuell verschieden”, erklärt Altenmüller, „es gibt eine Reihe elektronischer Musik-Kompositionen, aber die sind immer etwas langweilig, weil es nicht andockt an biografische Erfahrungen.” Trotzdem gäbe es Fortschritte bei künstlichen Kompositionen: „Die Software für künstliche Musikkomposition wird immer besser, heute ist es aber immer noch so, dass ein geübter Hörer erkennt, wo der Computer einsetzt.” Doch wenn KI sich so schnell weiterentwickelt wie bisher, ist es möglich, dass wir bald keine Unterschiede mehr zwischen von Menschen komponierter Musik und KI-Musik hören werden.

Text: Helge Denker (www.helgedenker.de)

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