Klassik-Kolumne:Nacht und Traum

Klassik-Kolumne: Daniel Müller-Schotts "Four Visions of France".

Daniel Müller-Schotts "Four Visions of France".

(Foto: SZ-Bildbearbeitung/Orfeo)

Neue CDs von Daniel Müller-Schott, dem Jewish Chamber Orchestra, Gaia Sokoli und Quatuor Ébène.

Von Harald Eggebrecht

Zwar wurden die besten Violoncelli in Italien gebaut - man denke nur an Antonio Stradivari in Cremona oder Matteo Goffriller in Venedig - aber Frankreich setzte entscheidende Maßstäbe im Cellospiel vom 18. Jahrhundert an bis heute. Um nur einige Namen zu nennen: Pablo Casals, Pierre Fournier, Paul Tortelier, Maurice Gendron, André Navarra oder heute Gautier Capuçon, sie alle bezeugen eine stolze Traditionslinie. Daher gibt es auch herausragende Kompositionen aus Frankreich für den Bariton unter den Streichinstrumenten. Der großartige Cellomeister Daniel Müller-Schott zeigt auf seiner neuen CD, wie geistreich, virtuos und leidenschaftlich Komponisten wie Camille Saint-Saëns, Gabriel Fauré, Arthur Honegger und Édouard Lalo das Cello als beredtes, ungemein flexibel "sprechendes" Soloinstrument verstanden haben. Zusammen mit dem DSO Berlin unter Alexandre Bloch wird aus Saint-Saëns' berühmtem ersten Cellokonzert ein feines Parlieren des Solisten mit dem Orchester. Das klingt nie dick oder deutsch-angestrengt. Faurés Elegie verlangt dagegen Ausdrucksintensität, Steigerungsenergie, und muss doch dynamisch genau ausbalanciert werden und darf nie nach Keuchen und Schuften klingen, was hier überzeugend gelingt. Honeggers knappes dreisätziges Konzert von 1929 lebt von Pointierung, Kurzangebundenheit und manchmal perkussiver Direktheit. Der Höhepunkt der CD ist wohl Lalos viel zu selten gespieltes Celloabenteuer mit spanischem Kolorit. Da klingt Müller-Schotts Goffriller-Cello so geschmeidig wie zupackend, so rhythmusverliebt im hinreißenden Intermezzosatz wie feurig im glühenden Finale. (Orfeo)

Klassik-Kolumne: Das Jewish Chamber Orchestra spielt Alexander Zemlinsky.

Das Jewish Chamber Orchestra spielt Alexander Zemlinsky.

(Foto: SZ-Bildbearbeitung/JCOM)

Nacht und Traum sind musikalische Urregionen. Spätestens seit der Romantik scheinen Monde, funkeln Sterne und wölbt sich das nächtliche Himmelsfirmanent über einsamen und unglücklich Liebenden, untröstlich an rauschenden Bächen Wandernden, oder hält die Musik so magisch inne, dass man kaum zu atmen wagt. Alexander Zemlinsky, dessen Geburtstag sich am 14. Oktober 2021 zum 150. Mal jährt, war ein Meister von Nacht- und Traummusiken, das gilt für seine Opern ebenso wie für Lieder und Kammermusik. Das Münchner Jewish Chamber Orchestra unter Daniel Grossmann hat mit dem Bariton Thomas E. Bauer eine CD herausgebracht mit sieben Liedern aus op. 2 und op. 5, 1895/96 entstanden. Außerdem eine Kammerkonzertfassung von Zemlinskys Klaviertrio, ebenfalls von 1896. Es sind gelungene Hybridfassungen dieser für Singstimme und Klavier geschriebenen Lieder und des Trios geworden. Richard Dünser hat so farbenreich und durchhörbar orchestriert und Sänger und Musiker singen und spielen so eindringlich, dass die wundersame Mischung aus dunklen Brahms-Assoziationen und gleißender Wagner'scher Fiebrigkeit des jungen Zemlinsky effektvoll herauskommt. (JCOM)

Klassik-Kolumne: Gaia Sokoli hat Fanny Mendelssohn wiederentdeckt.

Gaia Sokoli hat Fanny Mendelssohn wiederentdeckt.

(Foto: SZ-Bildbearbeitung/Piano Classics)

Die junge italienische Pianistin Gaia Sokoli, Jahrgang 1998, hat nicht den typischen Fehler aufstrebender Talente gemacht bei ihrer ersten CD, hoffnungsvoll Renner wie Chopin-Etüden oder Beethoven-Sonaten einzuspielen, von denen es schon unzählige Aufnahmen gibt. Vielmehr hat sie sich den Sonaten einer Komponistin gewidmet, deren Bruder die Schwester zwar liebte und als ebenbürtige und wichtigste Gesprächs- und Briefpartnerin achtete, aber ihr großes Talent eifersüchtig nicht recht anerkennen wollte. Erst langsam wird klar, dass Fanny Mendelssohn, verehelichte Hensel, die ältere Schwester von Felix, ebenfalls über größte musikalische Fähigkeiten verfügte. Gaia Sokoli zeigt, wie einfalls- und abwechslungsreich und kompositorisch souverän Fanny ihre Sonaten konzipiert hat. Besonders die späte von 1843 in g-Moll kennt dramatischen Zugriff, herbe Harmonik und eine Fülle an Gestalten und Charakteren. Dass es eine gewisse Mendelssohn-Ähnlichkeit in der Empfindung und der Leichthändigkeit bei den Geschwistern gibt, ist unüberhörbar, aber nicht im Sinne des Nachahmens oder Epigonentums. Fannys Musik ist weniger nervös als die von Felix. Sie trumpft nie auf, dafür kennt sie überraschende Klanglichtungen und eine Art geistreicher Heimlichkeit. Auch wenn Gaia Sokoli für die unterschiedlichen Stücke allzu sehr auf einen Passepartout-Klang setzt und so die Vielfalt und Strukturen einebnet, ist ihr Einsatz für diese interessanten Stücke lobenswert. (Piano Classics)

Klassik-Kolumne: Quatuor Ébène: Der Instrumentalrausch "'round midnight".

Quatuor Ébène: Der Instrumentalrausch "'round midnight".

(Foto: SZ-Bildbearbeitung/Erato)

Zum Schluss noch ein Hinweis auf eine weitere CD mit Nachtmusiken, die fulminant geglückt ist. Das fantastische Quatuor Ébène spielt da nicht nur Henri Dutilleux' Quartett-Meisterwerk "Ainsi la Nuit" so entflammt wie diszipliniert, so lauernd und erwartungsvoll in den Zwischenspielen wie attackierend und betörend schön in den nächtlichen Ausflügen, sondern auch zusammen mit dem exzellenten Bratscher Antoine Tamestit und dem glänzenden Cellisten Nicolas Altstaedt Arnold Schönbergs Sextett "Verklärte Nacht". Das ist ein Instrumentalrausch erster Klasse. Zwischen diesen Gipfeln hat der Ébène-Cellist Raphaël Merlin eine raffinierte, etwas lang geratene Brücke aus Jazz-Anspielungen gehängt. Das ganze Unternehmen ist einfach toll! (Erato)

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